Lektion 4: Sprachideologien
Sprachideologien beschreiben die gesammelten Werte und Einstellungen einer Person oder einer Gruppe von Menschen, ihre Perspektive auf die Sprache, den Gebrauch der Sprache beziehungsweise die Sprecher:innen. Sprachideologie ist Ideologie über Sprache selbst, nicht Ideologie, die über Sprache vermittelt wird. Es handelt sich um moralisch oder politisch aufgeladene Darstellungen des Wesens, der Struktur und des Gebrauchs von Sprachen in einer sozialen Welt.
Schlüsselbegriffe
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Standardsprachenideologie
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Akzente und Dialekte
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Spracheinstellung
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Sprachhierarchie
Einheit 1: Was ist eine Standardsprache?
Viele Sprachen haben einen Standard und davon abweichende Dialekte. In der Schule lernt man Standarddeutsch, in der Schweiz ist es das Schweizer Hochdeutsch. Einigen Quellen zufolge gibt es in Deutschland allein etwa 20 Dialekte. Dazu kommen deutschsprachige Dialekte, die in Österreich und der Schweiz gesprochen werden. Du selbst sprichst wahrscheinlich einen schweizerdeutschen Dialekt und kennst die Unterschiede zwischen dem Schweizer Hochdeutsch und dem Dialekt.
​Die meisten von uns wissen, wie der Standard klingen sollte, weil er in der Schule gelehrt wird. Eine Standardsprache zu definieren ist ein bisschen wie das Zeichnen eines Einhorns. Wir wissen, wie es aussehen oder klingen sollte, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass es tatsächlich "echt" ist. Sowohl Einhörner als auch Standardsprachen sind imaginär und gehören zu unserem gemeinsamen kulturellen Erbe. Eine Standardsprache wird in der Regel als die Sprache der Gebildeten angesehen. Dadurch entsteht eine sprachliche Hierarchie. Alles, was vom Standard abweicht, wird als Non-Standard bezeichnet, teils weniger ernst genommen und manchmal sogar als "falsch" bezeichnet. Menschen, die nicht den Standard ihrer Muttersprache sprechen, gelten als weniger gebildet und sind daher sozial und wirtschaftlich benachteiligt. In der Schweiz haben zum Beispiel Menschen, die nur Dialekt sprechen und Hochdeutsch nicht beherrschen, einen klaren Nachteil.
Diskutiert in kleinen Gruppen die folgenden Fragen:
Welche Akzente empfindest du als angenehm oder "hässlich"?
Warum denkst du, dass es so ist?
Würdest du einer Person mehr vertrauen oder sie mehr mögen, je nachdem wie sie spricht?
Würdest du eine Person für intelligenter halten, je nachdem, wie sie spricht?
Was denkst du über das Konstrukt der Standardsprache?
Wie prägt es unser Denken über Sprache und Akzente?
Einheit 2: Konsequenzen von Sprachideologie
Was sind die Folgen von Sprachideologie? Vorurteile, die zu Ungleichheiten führen. Es hat keine grosse Auswirkung, wenn nur eine Person französische Akzente für attraktiv und chinesische für böse klingend hält. Dies sind Beispiele für die Spracheinstellung von Individuen. Sie betreffen die Wahrnehmung und Beurteilung der Sprache und ihrer Sprecher:innen durch eine einzelne Person. Aber wenn die Medien und andere Menschen diese Meinung teilen und verbreiten, kann sie zu einem allgemeinen Stereotyp werden und zu Vorurteilen führen. Dies ist dann ein Fall von Sprachideologie. Es wird zu einer gemeinsamen Überzeugung und kulturellen Norm, so zu denken. Sprachideologien und Spracheinstellungen formen und beeinflussen sich gegenseitig. Bei Attraktivität entsteht kein Schaden, aber negative Stereotypen können für die betroffene Gruppe Menschen Schwierigkeiten mit sich bringen. Wenn Menschen mit einem sächsischen Dialekt (gesprochen in Sachsen, Deutschland) als "schlecht" sprechend und ungebildet dargestellt und wahrgenommen werden, kann dies zum Beispiel zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führen. Menschen, die Standarddeutsch sprechen, finden leichter einen Job als Menschen mit sächsischem Dialekt, obwohl sie die gleichen Qualifikationen mitbringen. Dies ist eine schwerwiegende Folge von Sprachideologie.
Sprachideologie kann auch Einfluss darauf haben, welche Sprachen in der Schule gelehrt und besträrkt werden. Im Königreich Tonga, einer Inselgruppe in Ozeanien, werden in der Schule sowohl die lokale tongaische Sprache als auch Englisch unterrichtet. Englisch gilt als Tor zum Erfolg, sodass die Prüfungen in der Oberstufe auf Englisch abgelegt werden und die Privatschulen Englisch bevorzugen. Die tongaische Sprache wird als kulturelles Erbe des Volkes angesehen, als Kennzeichen ihrer Identität und Herkunft. Menschen, die gut Englisch können, gelten als gebildet und klug, werden gleichzeitig aber auch mir Argwohn betrachtet. Ihnen wird vorgeworfen, Teil der Elite werden zu wollen. Diese ambivalenten Ideologien im Bezug auf Englisch und Tongaisch sind faszinierend zu beobachten und zeigen, wie kompliziert und vielschichtig Sprachideologie sein kann.
Sieh dir den Ausschnitt der Fernsehserie "American Dad" an.
1. Welche Nationalitäten und Akzente haben die Figuren?
2. Welche Stereotypen werden dargestellt?
3. Inwiefern ist dies ein Beispiel für Sprachideologie?
Aktivität 2: Sprachideologie in den Medien
Abschliessender Gedanke zu dieser Lektion
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Begriff der Sprachideologie von entscheidender Bedeutung ist, weil er uns hilft, zu verstehen, dass Sprache nicht nur ein neutrales Kommunikationsmittel ist, sondern ein Vehikel, um soziale, kulturelle und politische Werte auszudrücken. Wir begegnen Sprachideologie in unserem Alltag, zum Beispiel in Filmen, aber auch in Gesprächen oder in anderen Medien. Warum versuchst du nicht, dir den Sprachideologien, die in Filmen, Musik und Büchern vermittelt werden, etwas bewusster zu werden?
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Weiterführende Literatur
Lippi-Green, R. (2012) English with an accent: Language, ideology and discrimination in the United States. London: Routledge.